Svetislav Pesic erfuhr seine Heiligsprechung in Deutschland am 4. Juli 1993. An diesem Tag wurde er mit der Nationalmannschaft sensationell Europameister. Seitdem treibt er den Basketball in Deutschland voran. Am heutigen Mittwoch feiert er seinen 75. Geburtstag. Ein Portrait.
Autor: Theo Breiding
In der Saison 2013/14, die für den FC Bayern München mit der ersten Deutschen Meisterschaft seit 1955 endete, brachte der Klub einen bemerkenswerten Fanartikel auf den Markt. Ein T-Shirt mit dem Konterfei des Chef-Trainers Svetislav Pesic, beide Daumen nach oben, darunter das Wort LÄUFT mit einem Ausrufezeichen.
Das war missverständlich. War aus Platzmangel nicht die gesamte Botschaft aufgedruckt worden? Die in etwa so hätte lauten müssen: „Wer hier jetzt denkt, es läuft, wird sich noch gewaltig wundern.“ Denn niemand, so viel ist sicher, hat in Bezug aufs Berufliche vom Meistertrainer jemals hören dürfen, dass es … läuft. Und darauf in Zukunft zu hoffen, ist bestenfalls naiv. Denkbar ist in schwachen Momenten allenfalls das leise Geständnis, dass es hätte schlechter laufen können, eingefärbt vom Wissen, was zukünftig noch alles schief gehen kann.
„80 Prozent in Basketball – sowieso – ist Niederlage“, hatte Pesic gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit als Bundestrainer offenbart. Heute darf man staunen, wie üppig die restlichen zwanzig Prozent ausgefallen sind. Der talentierte Tischtennisspieler aus Novi Sad wurde als Basketballtrainer Weltmeister mit Jugoslawiens Junioren (1987) und Senioren (2002). Er ist der einzige Coach, der mit zwei Nationen – Deutschland (1993) und Jugoslawien (2001) – Europameister wurde. Zuletzt holte er als Nationaltrainer Serbiens WM-Silber (2023) und Olympia-Bronze (2024) – beide Male bekanntermaßen in einem Krimi gegen die DBB-Auswahl. Mit ALBA BERLIN gewann er den Korac-Cup (1995), mit Girona die EuroChallenge (2007) und mit Barcelona das Triple (2003). Zudem feierte Pesic in drei Ländern acht Meisterschaften und sechs Pokalsiege. Er wurde in seinen zwölf Jahren als Headcoach in der Basketball Bundesliga (1993-2000 Berlin, 2001/02 Köln, 2012-16 München) drei Mal zum Trainer des Jahres gewählt (1996, 1998, 1999) und 2021 als Trainer in die „Hall of Fame“ der FIBA berufen.
Auf die Frage, was ihn so erfolgreich macht, sind sich seine Weggefährten in einem einig: Pesic macht Druck. Immer. Wovon auch der deutsche Basketball profitierte. Die DBB-Auswahl wäre 1993 wohl mit niemand anderem Europameister geworden. Nach seinem Wechsel zu ALBA BERLIN fand er dort Verbündete, die mit ebenso großer Freude und Beharrlichkeit Basketball-Deutschland unter Druck setzten, sich zügig zu professionalisieren.
Zur Erinnerung: ALBA spielte unter Pesic noch in der Sömmeringhalle, bereiste die Alte Waage in Braunschweig, die Kuhberghalle in Ulm oder die Bonner Hardtberghalle. Die Linoleum- und Holzbretterzeiten sind Schnee von gestern, und – Druck, Druck, Druck – viele der Impulse zum Wandel kamen Mitte der 90er-Jahre, in der Pesic-Ära, aus Berlin.
Gelegentlich dürfen sich die Spieler und Assistenten des Meistertrainers (heimlich) darüber freuen, dass er den Druck von ihnen abwendet. Ins Visier könnte dann etwa das Personal von Fluggesellschaften geraten, wenn sein Frontcourt nicht am Notausgang sitzt, sich Maschinen verspäten oder – noch schlimmer – schon weg sind, weil er selbst verspätet ist. Auch Busfahrer gastgebender Teams sollten den Eindruck vermeiden, Umwege zu fahren. Für wen auch immer – grundsätzlich gilt: Beginnt Pesic einen Satz mit „Hallo“, droht Ungemach, mindestens.
Seinen ersten Titel als Coach holte Pesic 1983, als er mit Bosna Sarajevo jugoslawischer Meister wurde. Heute, 41 Jahre später, ist, wo er ist, noch immer vorn. Was kaum ginge, wäre Druck auszuüben, sein einziges Geheimnis. Seine Europameister von 1993 hätten ihm dann wohl auch einen Spitznamen gegeben, den man nur ungern zu Papier brächte. Für Baeck, Harnisch, Koch, Rödl & Co. aber ist er „der Alte“. Und wenn sie vom „Alten“ reden, schwingt Respekt mit, Familiäres, die Vaterfigur.
Was Pesic gefällt, denn wer sich auf ihn einlässt, bekommt etwas zurück, wird Teil seiner globalen, durch nichts zu trennenden Basketball-Familie – und auf die ist Pesic stolz. Wie dann auch auf die meisten Spieler, „meine Spieler“, wie er gern sagt, egal, ob er über Nikola Jokic, Marc Gasol, Vlade Divac oder Henrik Rödl redet.
Einer seiner deutschen Nationalspieler der ersten Stunde hat das Privileg, unter Pesic zu spielen, einmal so beschrieben: „Er dreht dir am ersten Tag eine blitzblanke Titanschraube in die Fontanelle und zieht sie jeden Tag ein Stückchen weiter an.“ Aua, ein Bild, das an Blut, Schmerzen und Gefahr denken lässt.
Aber unter Pesic zu spielen ist wohl eher ein lustvoller Schmerz. Er beschimpft dich schon mal, provoziert dich oder lässt dich links liegen. Aber irgendwann legt er seinen Arm um dich und du spürst: Der „Alte“ liebt dich. Der gelegentliche Bösewicht mit der lauten Stimme und dem vielsprachigen Arsenal an Schimpfwörtern ist auch der sich sorgende Vater, der für seine Kinder nur das Beste will.
Und, wenn die Chemie stimmt, spürst du schnell, du wirst besser, wenn du tust, was er sagt, und seinen legendären Anweisungen wie „Mache keine Gedanken, habe Gedanken schon gemacht!“ folgst – du überwindest persönliche Grenzen und du gewinnst.
Dreht sich der „Alte“ heute an seinem 75. Geburtstag um, blickt er auf ein Heer von Siegern.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde zuerst 2015 in dem Jubiläumsbuch "50 Jahre Basketball Bundesliga" veröffentlicht. Anlässlich des 75. Geburtstages von Svetislav Pesic gibt es nun hier diese aktualisierte Version.